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Das Russengrab und ein Brief, der zu Tränen rührte

03.12.2019

Auf unserem Friedhof befindet sich ein Grabmal, das zwei Kriegsgefangenen aus dem ersten Weltkrieg gewidmet ist. Am Volkstrauertag legen wir dort einen Kranz nieder - stellvertretend für die vielen Opfer des Krieges, die außerhalb ihrer Heimat begraben liegen.

 

Bislang wussten wir aber nicht so recht, wer sich hinter den Namen verbirgt. Waren es Polen oder Russen? Warum haben sie das gleiche Sterbedatum?

 

2018 erreichte uns ein Brief, den die Urenkelin eines der Gefangenen an Christian Oehler geschrieben hat. Hier die Rede, die er am Volkstrauertag 2019 gehalten hat:

 

Volkstrauertag, 17.11.2019

Seit vielen Jahren gedenken wir an den Gräbern zweier russischer Kriegsgefangener stellvertretend aller Soldaten und Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft, die fern der Heimat gestorben, vermisst, bestattet oder verscharrt wurden.

 

Diese Millionen von Soldaten, Zivilisten, Vertriebenen und Verfolgten waren nicht namenlos, sie waren geliebte Väter und Mütter, geliebte Kinder ihrer Eltern, Brüder und Schwestern, Freunde die schmerzlich vermisst wurden.

 

Im letzten Jahr erhielt ich eine E-Mail der Urenkel des Peter Glukhov, die über das Internet dieses Grab ihres Ur-Großvaters hier in Havetoft gefunden hatten:

Peter Glukhov wurde im Dorf Kuznetsky, der Region Tscheljabinsk (in der Nähe des Urals) geboren, wo seine Urenkel noch heute leben.

 

Er hatte sechs Kinder und kam aus bäuerlichen Verhältnissen.

 

Peter Glukhov wurde bei der russischen Armee Unteroffizier des 336. Tscheljabiner Infanterieregiments. Am 13.03.1915 wurde er durch Soldaten des Deutschen Heeres in Polen gefangen genommen. Für seine Familie galt er seither als vermisst .

 

In einer Havetofter Beschreibung aus dieser Zeit lesen wir:

„ Am 6. März, abends gegen 18 Uhr, trafen die ersten Gefangenen in Havetoftloit auf dem Bahnhof ein. Ein trauriges Bild bot ihre Wanderung nach dem Lager. Voraus ritten zwei Gendarmen, zur Seite beiderseits schritten Soldaten mit aufgepflanztem Seitengewehr und zum Abschluss wieder berittene Gendarmen.

Fünfhundert Gefangene wie hundert Franzosen, hundertfünfzig Belgier, sechs Engländer und ca. 250 Russen, welche den langen Zug beschlossen. Man sah verbissene aber auch stupide Gesichter.

Oben im Lager in Holming angelangt, wurden sie in die Baracken einquartiert. Franzosen und Engländer in die eine, die Russen in die andere. Zwischen beiden Baracken befindet sich ein Drahtzaun.“

Peter Glukhov starb in Havetoft im Alter von 36 Jahren, an einem Tag mit seinem Kameraden, die Todesursache ist nicht dokumentiert.

Seine Frau und sechs Kinder erfuhren erst 1956 über den Verbleib des Vermissten. Sein Enkel, Vasily Glukhov war beim Bau des Zhigulevskaya Wasserkraftwerks zufälligerweise mit einem ehemaligen Mitgefangenen seines Opas eingesetzt. Dieser zeigte ihm ein Bild der Gefangenen von Holming. Der Enkel erkannte seinen vermissten Opa und konnte so der Witwe und den Kindern nach 40 Jahren Auskunft über Peter Glukov geben und das Foto überreichen.

 

Es mag seltsam klingen, aber das Wissen um ein ordentliches Grab hat die Familie getröstet.

 

Die Urenkel haben mir gestern einen Brief für den heutigen Tag geschrieben:

„ Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wissen, dass zum Gedenken an die Toten der Weltkriege in Deutschland ein Nationaler Trauertag eingerichtet wurde. Er wird im November gefeiert. Menschen auf der ganzen Welt erleben Hass und Abneigung gegen den Krieg. Wir wollen jedoch die Erinnerungen an diese Ereignisse und die Menschen, die an diesen schrecklichen Kriegen teilgenommen haben, im Gedächtnis der Nachkommen behalten.

 

Einer der Teilnehmer des Krieges war unser Urgroßvater Peter Glukhov. Er geriet in Gefangenschaft und befand sich in Deutschland. Mehr über das Schicksal unseres Urgroßvaters war uns nichts bekannt. Wir haben 2 Fotos erhalten, die die Suche nach einem Ort der Bestattung ermöglichten. Die Überraschung und Dankbarkeit, dass bis heute der Grabstein unseres Urgroßvaters erhalten ist, hat keine Grenze. Es ist 100 Jahre her, aber Sie, die Bewohner von HAVETOFT, die in der Nähe der Grabstätte leben, Ehren die Erinnerung an die beiden unbekannten Soldaten. Dafür haben Sie eine tiefe Verbeugung. „Der Mensch lebt, solange die Erinnerung an ihn in den Herzen der Lebenden lebt.“ Unser Urgroßvater lebt, dank Ihrer Erinnerung an ihn.

 

Die Bewohner von HAVETOFT ehren und bewahren die Erinnerung an die gefallenen Gefangenen eines anderen Landes, fühlen sich für den Frieden auf der Erde verantwortlich. Dieses Grab ist ein Vorwurf an diejenigen, die Kriege entfesseln. Dieses Grab ist die Erinnerung an diejenigen, die den Frieden bewahren.

 

Im November 2019 wollen wir unserem Urgroßvater im Namen der lebenden Enkel, Urenkel, Ururenkel Dankesworte für unser Leben überreichen, wir sind stolz auf ihn und erinnern uns. Wir vermitteln Worte der Bewunderung und des Dankes an die Bewohner des schönen, gemütlichen, freundlichen und friedlichen Dorfes HAVETOFT.

 

Mit Ehrfurcht, Urenkelin Lyudmila Glukhov und Marina Kudrevatyh“

 

Wir denken heute

an die Opfer von Gewalt und Krieg,

an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken

der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,

der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach

in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden,

weil sie einem anderen Volk angehörten,

weil sie jüdischer Herkunft waren,

Teil einer Minderheit waren oder deren Leben

wegen einer Krankheit oder Behinderung

als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir trauern

um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,

um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,

um die Einsatzkräfte, die in Friedensmissionen und Hilfseinsätzen ihr Leben verloren.

 

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern,

und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen

zu Hause und in der ganzen Welt.

 

Wir wollen beten:

Gib Frieden, Herr, gib Frieden:

Denn trotzig und verzagt hat sich das Herz geschieden von dem, was Liebe sagt!

Gib Mut zum Händereichen, zur Rede, die nicht lügt,

und mach aus uns ein Zeichen dafür, dass Friede siegt.

Amen

 

Bild zur Meldung: Diakon Christian Oehler am 'Russengrab'